Lukas Alex

Lehrstuhl für Neueste Geschichte, Universität Bayreuth
lukas.alex@uni-bayreuth.de
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Bevölkerung, Familie, Individuum. Wissensgeschichte der Humangenetik in der frühen Bundesrepublik

Für die gesellschaftliche Konjunktur von Vererbungswissen setzte das Jahr 1945 eine oft beschriebene Zäsur. Die seit den 1960er Jahren geführte Diskussion über die Anwendbarkeit neuer Gentechnologien verlief dennoch vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus. Die Tagung „Genetik und Gesellschaft“ im Jahr 1969 stellte einen markanten Wegpunkt bioethischer Diskurse dar, reflektierte sie doch die Beunruhigung der Öffentlichkeit gegenüber den humangenetischen Fortschritten. Die Organisatoren Georg Wendt, Friederich Vogel und Peter Becker postulierten die Humangenetik als eine Disziplin, die sich von den „Wunschvorstellungen der Nazizeit“ loszusagen schien. Die öffentlichkeitswirksame Veranstaltung zielte darauf ab, das „Bild einer modernen und gesellschaftlich relevanten Wissenschaft“ zu zeichnen. Der amerikanische Gastredner Lionel S. Penrose unterstrich die Verortung der Disziplin in der Medizin. Die Ziele seien folgerichtig die Behandlung und Vorbeugung von genetischen Krankheiten auf Grundlage individuell getroffener Entscheidungen.

Die Schwierigkeiten dieser inhaltlichen Abgrenzung von der „Rassenhygiene“ wird besonders in dem auf der Tagung präsentierten Konzept der „Sozialgenetik“ deutlich. Peter Becker und Hans Jürgens entwickelten hier ein Forschungsprogramm, welches die Wechselwirkungen zwischen sozialem Wandel und genetischer Zusammensetzung der Bevölkerung untersuchbar machen sollte. Obwohl der „Sozialgenetik“ eine vermeintlich deduktive Vorgehensweise zu Grunde lag, gelang es den Wissenschaftlern in ihrem Vortrag nicht, sich von eugenischen Narrativen und Degenerationsszenarien loszusagen. Vielmehr musste Becker in der Diskussion zugeben, dass er „wissenschaftliche Ergebnisse, die bisher unter der Flagge der Eugenik segelten, herausgenommen wissen möchte aus diesem angefochtenen und strittigen Wertbereich und sie einordnen möchte in eine Sozialgenetik als Wissenschaft.“ Somit stellte die „Sozialgenetik“ entgegen aller Abgrenzungsversuche ein Instrument der Humangenetiker dar, um auf Eugenik abzielende Gesellschaftsdiagnosen zu popularisieren oder überhaupt wieder salonfähig zu machen. Aus dem Diskussionsprotokoll der Tagung geht keine weitergehende Problematisierung dieser Frage hervor.

Die Mechanismen zwischen humangenetischem Anwendungswissen und ethischen Problemstellungen bedürfen einer fundierten historischen Analyse. Die forschungspraktischen Auswirkungen eines solchen Forschungskonzepts „Sozialgenetik“-Konzepts illustrieren sich am bisher wissenschaftshistoriographisch unbeachteten Beispiel des Münsteraner Instituts für Humangenetik: Im Jahr 1967 wies die DFG noch einen Forschungsantrag aus dem Institut als „antiquiert“ zurück, der eine Untersuchung der Reproduktion von Menschen mit Behinderung vorschlug. Nach ihrer Teilnahme an der Marburger Tagung modifizierten die Antragssteller, Widukind Lenz und Wilhelm Tünte, den Antrag im Sinne der „Sozialgenetik“. Das populationsgenetische Wissensobjekt, namentlich die „biologischen Auswirkungen angeborener Mißbildungen“, blieb unverändert. Trotzdem lief der Antrag mit dem Label „Sozialgenetik“ bei den Gutachtern offene Türen ein und erhielt eine siebenjährige Förderung der DFG. Der Gutachter Friedrich Vogel bekundete Interesse bezüglich dem „Problem der Intelligenz und Lebensbewährung“ und der „eugenischen Konsequenzen der Medizin“.


Mathias Schütz

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin
Ludwig-Maximilians-Universität München
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Die medizinische Ethik und der Geist des Kapitalismus

Von der Ölpreiskrise des Jahre 1973 sowie den damit einhergehenden wirtschaftlichen und Haushaltsproblemen wurde der bis dahin expansive bundesrepublikanische Wohlfahrtsstaat nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Im Gesundheitssektor setzte die Wahrnehmung einer unkontrollierten „Kostenexplosion“ entsprechende Gegenmaßnahmen in Gang: So etwa das 1977 erlassene Kostendämpfungsgesetz und die aus Politik, Gewerkschaften, Pharmaindustrie, Versicherungen, Ärzte- und Krankenhausvertretern zusammengesetzte Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, die sich mit Fragen der Effizienz, der Verbesserung und Kontrolle der Krankenversorgung und ihrer Finanzierung auseinandersetzte.

Im Zuge dieser Diskussionen um Leistung und Kosten des bundesrepublikanischen Gesundheitswesens kam 1979 die Frage einer humanen Krankenversorgung auf die Tagesordnung; parallel zur Konzertierten Aktion erörterte auch die Konferenz der Gesundheitsminister und Senatoren der Länder das Thema. Die Gesundheitsministerkonferenz verabschiedete ihre Entschließung „Mehr Humanität im Gesundheitswesen“ im März 1980, die Konzertierte Aktion ihre „Grundsätze zu Fragen einer humanen Krankenversorgung“ im November desselben Jahres. Beiden Stellungnahmen zur Gewährleistung einer humanen, bedarfs- und bedürfnisorientierten Krankenversorgung ist die Tendenz gemein, diese als systemische Herausforderung zu charakterisieren, die durch den technischen Fortschritt und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens weiter zugespitzt werde; allerdings teilten beide Institutionen ebenfalls die Einschätzung, dass das tiefergehende Problem nicht in der Gesundheitspolitik, den Kostendämpfungsmaßnahmen, der technisierten und rationalisierten Patientenversorgung, kurz: dem System zu finden und zu lösen sei. Vielmehr proklamierten die Gesundheitsminister der Länder, dass „das Gesundheitswesen nicht stellvertretend für negative Folgen veränderter zwischenmenschlicher Beziehungen verantwortlich gemacht werden“ und „auch nicht allein für seinen Bereich einem insgesamt vorhandenen humanitären Defizit wirksam abhelfen“ könne. In vergleichbarem Tenor stellte die Konzertierte Aktion fest, „daß ein Mehr an Humanität aber nicht gleichbedeutend ist mit einem größeren Einsatz an finanziellen Mitteln.“ Nicht das Gesundheitssystem müsse sich daher ändern, um die Forderung nach Humanität zu erfüllen, vielmehr die Einstellungen und Praktiken der im Gesundheitssystem Tätigen. Der Fokus der Problemanalyse und der entsprechenden Lösungsvorschläge verschob sich von den Strukturen zu den Personen. So wurde erstmals die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung „humanitärer Fähigkeiten“ im Medizinstudium und der heilberuflichen Ausbildung formuliert – eine Forderung, auf welche die Gesundheitsministerkonferenz sechs Jahre später zurückgriff und die in der erstmaligen Nennung von Ethik als humanmedizinischem Lehrziel in der Neufassung der ärztlichen Approbationsordnung von 1987 mündete.


Geschichte und Philosophie, der Lebenswissenschaften & Wissenschaftskritik

Anna Rifat Klassen

Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung

anna klassen@kit edu
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Zur Person

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Geschichte der Gentechnologie & Theorie der Kontingenz

Anna Maria Schmidt

DFG-Graduiertenkolleg 1919 Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln

Universität Duisburg-Essen

[email]

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Historische Körper und Körperpolitik, skandinavische Zeitgeschichte

Anna Derksen

Internationales DFG-Graduiertenkolleg 2560 Baltic Peripeties. Narratives of Reformations, Revolutions and Catastrophes

Universität Greifswald

anna.derksen@uni-greifswald.de

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